Neue Presse – Simplicius Kritik

TRIUMPHALER EMPFANG FÜR „SIMPLICIUS“ VON JOHANN STRAUSS
Deutsche Erstaufführung im Coburger Landestheater mit stehenden Ovationen gefeiert


Die Illusion einer konzertanen Aufführung: Angereichert um erläuternde Spielszenen erlebte die Strauß-Operette „Simplicius“ am Coburger Landestheater ihre Deutsche Erstaufführung – nach 117 Jahren. – FOTO: ROLF SCHNEIDER

VON RUDOLF POTYRA
Besucher und Strauß-Freunde aus der ganzen Bundesrepublik, aus Budapest, Wien, Paris, Zürich und Olmütz – um nur einige Städte zu nennen – wollten sich die deutsche Erstaufführung des „Simplicius“ von Johann Strauß nicht entgehen lassen und strömten am Samstag ins Landestheater. Die einheimischen Besucher schienen – nicht zuletzt wegen der Fußball-EM – Zurückhaltung zu üben.Als kostensparende Variante zur Entlastung des knappen Haushalts gedacht, wurde erstmals die konzertante Aufführung eines Bühnenwerkes ins Abonnement eingestellt. Was als „Sparrezept“ befürchtet wurde, entwickelte sich zu einem wahren musikalischen Fest, bei dem man sich voll und ganz von den Schönheiten eines Meisterwerkes von Johann Strauß tragen lassen konnte. Ja, der „Simplicius“ ist ein Meisterwerk, auch wenn viele gar nicht wissen, dass es ihn überhaupt gibt.

In einer Periode höchster Schaffenskraft und persönlichen Glückes schrieb Johann Strauß 1887 den „Simplicius“. Der triumphale Erfolg des „Zigeunerbaron“ lag hinter ihm und dank Herzog Ernst II. konnte er 1887 in Coburg endlich seine Adele heiraten.

Er suchte lange nach einem Stoff für sein nächstes Bühnenwerk und entschied sich schließlich für „Simplicius“, ein Libretto, das der junge Victor Léon nach dem gleichnamigen, im 30-jährigen Krieg spielenden Entwicklungsroman von Grimmelshausen, verfasst hatte.

Anfang 1887 begann Strauß mit der Komposition. Da er wegen seiner Eheangelegenheit mehrmals für langere Zeit in Coburg wohnen musste, entstanden hier wesentliche Teile des Werkes. Dankbar für die Hilfe, die er bei Ernst II. gefunden hatte, widmete er diesem die Operette. Die Uraufführung in Wien hatte aber, trotz hochgespannter Erwartungen aller Eingeweihten, keinen nachhaltigen Erfolg. Auch mehrere Umarbeitungen brachten nichts. Nach 1894 fiel sie in Vergessenheit. Schuld daran war zweifellos das Textbuch mit seinen kaum durchschaubaren Verwicklungen und die frömmelnde Opernnähe.

1999 brachte das Opernhaus Zürich zum 100. Todestag von Johann Strauß den „Simplicius“ als Weltsensation“ erneut auf die Bühne. Alle europäischen und kanadischen Rundfunkanstalten sowie das japanische Fernsehen schnitten die Aufführung mit und EMI brachte sie als Doppel-CD auf den Markt.

Das alles hätte man in Coburg auch haben können; denn 1998 machte Ralph Braun das verloren geglaubte Notenmaterial aus dem Nachlass Victor Léons in einem Wiener Antiquariat ausfindig. Er deponierte es für mehrere Monate in der Landesbibliothek Coburg. Da die damalige Intendanz hinsichtlich einer Aufführung nicht ansprechbar war, musste das Material an das Opernhaus in Zürich abgegeben werden.

Aber der Gedanke an eine Aufführung in Coburg ließ Braun nicht wieder los. Da auch die Züricher Fassung, deren Aufführungsmaterial übernommen wurde, eine größere Akzeptanz nicht wahrscheinlicher machte, entwarf Ralph Braun eine Neufassung mit drei zusätzlichen Schauspielszenen (diese in Zusammenarbeit mit Margot Dalir), die szenisch-konzertant dargeboten wird. Braun hat dabei einmal den Dialog um etwa 50 Prozent gekürzt und so gestrafft, dass die Verwicklungen durchschau- und verstehbar werden. Jedem Akt hat er eine Spielszene vorangestellt, in denen an Hand authentischen Materials Entstehung und Umfeld der Operette dargestellt werden. Er hat damit eine Fassung geschaffen, die – auch nach dem Urteil auswärtiger Fachleute – durchaus eine reale Zukunftschance haben könnte.

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Mitreißender

Schwung

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Nach dem Braun’schen Konzept bleibt die Bühne – abgesehen von einzelnen Projektionen – weiß. Lediglich die farblich ausgetüftelte und variable Beleuchtung soll Assoziationen schaffen und Fantasieräume öffnen. Das Orchester spielt im Graben. Auf der Bühne nehmen teils die Schauspieler der Spielszenen Platz, teils die Darsteller, deren Aktionen auf ein Minimum beschränkt werden. Um die Illusion einer konzertanten Aufführung zu vervollständigen, halten die Darsteller oft ihre Notenblätter in Hand, ohne sie zu benutzen.

Die musikalische Leitung lag bei Alois Seidlmeier. Bei ihm und dem Orchester spürte man deutlich, mit welch musikantischem Schwung sie das „Gold“ der unbekannten Strauß-Operette in mitreißenden Klang umsetzten.

Stefan Meier hatte Chor und Extrachor vorbereitet. Ebenso präzis wie nachdrücklich demonstrierten sie ihre dynamische Kraft.

Wie ein „Einspringer“ zum Glücksfall werden kann, zeigte Sven Ruppert, der an der Stelle des ursprünglich vorgesehenen Detlef Altenbeck die szenische Gestaltung übernommen hatte. Personenführung, Dialoge und Stellungen konnten kaum natürlicher sein. Ein bestimmendes und überzeugendes Element der Aufführung war die Lichtgestaltung durch Peter Hörtner.

In den Spielszenen sah man Stephan Mertl als Johann Strauß, Stephanie Hottinger als Adele und Christoph Angerer als Victor Léon, dessen Interpretation des „Fiaker-Liedes“ durchaus hörenswert war, aber dennoch als Fremdkörper wirkte.

William Wilson hatte als Einsiedler zwar nur wenige Auftritte, sein Walzer-Rondo „Ich denke oft zurück“ ist jedoch der Ohrwurm schlechthin, den man sich noch etwas geschmeidiger und nachdenklicher vorstellen könnte.